
The travelogue 'Irish Journal' (1957) by Heinrich Böll (1917-1985) was a million seller in Germany. Though, internationally, he's best known for the novel 'The Lost Honour of Katharina Blum' (1974), and the movie adaptation by Volker Schlöndorff
Es gibt dieses Irland: wer aber hinfährt und es nicht findet, hat keine Ersatzansprüche an den Autor’. Ja, das berühmte Vorwort von Heinrich Bölls Klassiker ’Irisches Tagebuch’ (1957). Es gibt ein 54 Min. Radiofeature über das Buch online. Und auch ein sehr schönes Arte-TV-Feature auf Youtube. Links folgen am Ende des Posts. Im Foto, mein dtv-Taschenbuch. Und hier ein Foto von der Erstausgabe von Kiepenheuer & Witsch. In mancher Hinsicht ist dieser Reisebericht über Irland mein Lieblingsbuch von Böll. Im Kontrast dazu spricht ein von mir ebenfalls verehrtes Buch wie ‘Die verlorene Ehre der Katharina Blum’ dringendere Themen an, aber man liest es mit einer eher grimmigen Stimmung. Bölls Irland hingegen ist ein mystischer Ort, an dem man Zuflucht und Balsam für die Seele sucht. Böll schildert Irland nicht immer als idyllisch aber als ein Land das sich sehr, sehr von Deutschland unterscheidet. Mitte der 50er Jahre, als in Deutschland schon das Wirtschaftswunder herrschte, war Irland immer noch eins der ärmsten Länder Europas. Man sollte Armut nicht romantisieren – und die gibt es in Irland ohnehin schon lange nicht mehr – aber es entspricht auch meiner persönlichen Erfahrung, dass Leute die in einfacheren Umständen aufgewachsen sind, oftmals freundlicher, offener, unbesorgter und gastfreundlicher sind als man es es im eigenen Land gewohnt ist. Deutsche haben, seien wir ehrlich, eine Angewohnheit, auf hohem Niveau zu jammern. Während es in manchen anderen Ländern umgekehrt zu sein scheint. Heinrich Bölls Irisches Tagebuch wurde nicht nur ein Millionen-Seller sondern kurbelte auch den Tourismus in Irland an. Nicht zuletzt weil Böll ein meisterhafter Erzähler war, der selbst denkwürdige Orte mit einer faszinierenden, düster-märchenhaften Aura beschreiben konnte. Eins der für mich beeindruckendsten Kapitel beschreibt Bölls Besuch von einem Dorf das vor über hundert Jahren aufgrund der Irischen Hungersnot verlassen wurde:
Plötzlich, als wir die Höhe des Berges erreicht hatten, sahen wir das Skelett des verlassenen Dorfes am nächsten Hang liegen. Niemand hatte uns davon erzählt, niemand uns gewarnt; es gibt so viele verlassene Dörfer in Irland. Die Kirche, den kürzesten Weg zum Strand hatte man uns gezeigt und den Laden, in dem es Tee, Brot, Butter und Zigaretten gibt, auch die Zeitungsagentur, die Post und den kleinen Hafen, in dem die harpunierten Haie bei Ebbe im Schlamm liegen wie gekenterte Boote, mit dem dunklen Rücken nach oben, wenn nicht zufällig die letzte Flutwelle ihren weißen Bauch, aus dem die Leber herausgeschnitten worden war, nach oben kehrte – das schien der Erwähnung wert, aber nicht das verlassene Dorf: graue, gleichförmige Steingiebel, die wir zunächst ohne perspektivische Tiefe sahen, wie dilettantisch aufgestellte Kulissen für einen Gespensterfilm: mit stockendem Atem versuchten wir sie zu zählen, gaben es bei vierzig auf, und hundert waren es sicher.

Ireland almost became a second home for author Heinrich Böll, pictured above in front of the cottage where he lived on Achill Island in County Mayo during many visits from 1954 to 1983
Heinrich Böll ist mitunter davon beeindruckt, dass die Ruinen von Slievemore, so der Name des Dorfs das um 1845 verlassen wurde, völlig unberührt der Natur überlassen werden - ’Zeit und Elemente haben alles was nicht Stein war, in unendlicher Geduld weggefressen’ - und dass seit so langer Zeit niemand die Häuser vandalisiert, verändert, abgezäunt oder ‘ausschlachtet’ hat, was, wie er andeutet, in Deutschland der Fall sein würde. In der Tat, in mancher Hinsicht ist dies auch ein Buch über Deutschland – das Böll hier aus der Ferne betrachtet. Es tauchen öfters eingeklammerte Sätze auf wie: ‘Es könnte in Deutschland (wo ja fast alles missverstanden wird, weil die armen Deutschen so gar kein Selbstverständnis haben) missverstanden werden oder unlogisch erscheinen…’ Interessant ist auch dass Heinrich Böll (1917-1985) damals, lange bevor er 1972 den Nobelpreis für Literatur erhielt, als jemand schrieb, der relativ unbekannt und knapp bei Kasse war. Gegen Ende schreibt er: ‘Der Abschied fiel schwer, gerade weil alles darauf hinzudeuten schien, dass er notwendig sei: das Geld war verbraucht, neues versprochen, aber noch nicht angekommen…’. Zeilen mit denen sich sicherlich viele Autoren identifizieren können. Bölls Irisches Tagebuch (1957), dessen einzelne Teile schon ab 1954 in der FAZ vorabgedruckt wurden, besteht aus 18 Kapiteln mit Berichten aus seinen ersten drei Irland-Reisen 1954-1957. Im Jahr 1967 fügte Böll das Essay ’Dreizehn Jahre später’ hinzu. Ein Abschied? Nein, er besuchte die grüne Insel danach, bis 1983, noch viele weitere Male, und blieb manchmal mehrere Monate. Das Haus auf Achill Island, im Bild, wurde so etwas wie seine zweite Heimat. Ich wünsche gute Unterhaltung beim folgenden Radiofeature, und einem TV-Doku mit Heinrich Bölls sympathischen Sohn René Böll, der unterwegs in Irland, viele Orte vorstellt die im Irischen Tagebuch beschrieben werden.
Am Rand von Mayo, fast am Achill Head, von wo es bis New York nur noch Wasser gibt. Schneeweiß war das Haus gestrichen, marine-blau die Fensterrahmen. Hellgrün war die See, vorne wo sie auf den Strand rollte, dunkelblau zur Mitte der Bai hin. Am Abend noch bekamen wir, was soviel wert war wie bares Geld, das Anschreibebuch des Shopbesitzers. (Gekürzte Passage, Irisches Tagebuch)
TV-Dokumentation ‘Heinrich Bölls Irland’ (2016) online auf Youtube Eine TV-Sendung von Florianfilm und WDR, MDR, RB, rbb, SWR in Zusammenarbeit mit ARTE. (ca. 51 min.) Regie: André Schäfer und Jonas Niewiand. Autor: Hartmut Kasper. Kamera: Andy Lehmann. Ton: Thorsten Czart. Musik: Christoph van Hal. Schnitt: Fritz Busse. Schnittassistenz: Fabian Deertz. Design: Arno Blumenstock. Sprecher: Gabriele Blum, Gerd Köster. Producer: Jonas Niewianda. Produktionsleitung: Oliver Bätz, Rainer Baumert. Produzentin: Marianna Schäfer. Mein Kommentar: Empfehlenswerte Sendung die mitunter von René Böll kommentiert wird
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Radio-Dokumentation von Radio Bremen von 2007 online Das Radiofeature ’Bölls grüne Insel – Eine Spurensuche in Irland’ (2007) von Michael Augustin und Walter Weber. Sprecher: Burghart Claußner. Im Originalton zu hören: Heinrich Böll, René Böll, Viktor Böll, Elizabeth Barrett, Gudrun Boch, Ralph Giordano, Hugo Hamilton, Pearse Hutchinson, Thomas Johnston, Patrick Kavanagh, Father Tom, Claire Keegan, Edward King, Tony MacMahon, Hans-Christian Oeser, Dieter Wellershoff, Vincent Woods. Regie: Christiane Ohaus
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