
Clara & Esteban: Movie adaptions of literary classics tend to have a hard time living up to expectations. But I can't think of a better actress to play Clara than Meryl Streep
Der zyklische Charakter des Romans – bei dem das Ende der Anfang ist – wird in der Verfilmung auf geniale Weise umgesetzt. Der dänische Regisseur Bille August, der auch das Drehbuch für Das Geisterhaus (1993) schrieb, beginnt den Film nicht mit dem Anfangssatz ‘Barrabas kam auf dem Seeweg in die Familie‘ sondern mit einem visuellen Prolog der eine Szene zeigt mit der der Film auch endet: Der sterbende Patriarch Esteban Trueba kommt mit Blanca zurück zum mythischen, verfallenen Familiengut Die Drei Marien. So schließt sich der Kreis im Film. Mir fiel mir diese Analogie erst beim erneuten Ansehen auf. Der Film strafft die umfangreiche Handlung des Romans indem Tochter Blanca, gespielt von Winona Ryder, viel von der Romanrolle der Enkelin Alba übernimmt. Ein sehenswerter Film der damals von Kritikern unterbewertet wurde. Literaturverfilmungen haben oft mit den enorm hohen Erwartungen von erfolgreichen Romanvorlagen zu kämpfen. Aber ich kann mir kaum eine bessere Darstellerin als Meryl Streep in der Rolle von Clara Trueba vorstellen. Siehe obiges Foto, neben ihr Jeremy Irons als Ehemann Esteban Trueba. Es ist nicht völlig aus der Luft gegriffen, Clara und Esteban in Anlehnung an Emily Brontës Sturmhöhe, als Cathy und Heathcliff des 20. Jahrhunderts bezeichnen. Isabel Allende sagt in ihren beiden biografishen Büchern Paula (1994) und Mein erfundenes Land (2003) dass sie in ihrer Jugend in der Tat englische Autoren wie die Brontë-Schwestern, Charles Dickens und Jane Austen las. Parallelen die Das Geisterhaus zur Sturmhöhe hat, sehe ich mitunter darin dass viel von der Handlung in zwei ikonischen Gutshöfen und Herrenhäusern spielt: Bei Emily Brontë sind es Wuthering Heights und Thrushcross Grange. Bei Allende sind es Die Drei Marien und das ‘große Eckhaus’. In beiden Büchern sind die Liebespaare völlig unterschiedlicher, quasi gegensätzlicher Herkunft: Die Frauen sind aus wohlhabenden liberalen Familie, während die männlichen Hauptfiguren skrupellose Selfmade-Männer sind die sich von unten hochgearbeitet haben und reaktionäre Züge haben. Dennoch sind beide Roman-Paare durch eine bis über den Tod hinausreichenden Liebe verbunden.

Similar to Wuthering Heights, Allende's story centers around two iconic houses: The 'Big House on the Corner' and a farm called 'The Three Marias', pictured above in the movie
Die Verbindungen die Das Geisterhaus (1982) mit Isabels Allendes Leben hat, gehen noch tiefer. Die Hauptfiguren Clara und Ehemann Esteban basieren auf den Großeltern bei denen sie aufwuchs als ihr Vater die Familie im Stich ließ. Großmutter Isabel Barros Moreira, die von der Autorin Memé genannt wurde, war – wie Clara im Roman – sehr esoterisch angehaucht. Im Kontrast zu Claras praktisch denkendem Ehemann Agustin Llona Cuevas (1882-1981) den Isabel immer Tata nannte. Ihr Großvater wurde fast hundert Jahre alt und war aus einem Zeitalter als Südamerika noch abenteuerlicher war als heute. Er war ein Schafzüchter der Wolle nach Schottland exportierte und Ländereien in mehreren Teilen von Chile hatte. In ihrem Buch Paula (1994) erinnert sich Isabel Allende, wie sie Tata auf Reisen durch das Cordillera-Gebirge und die steppenartigen Hochebenen von Patagonien begleitete wenn die Schafe geschert werden mussten. Isabel Allendes Erfahrungen vom Landleben machen sich im Roman öfters bemerkbar, in Passagen wie:
‘Es sprach sich herum, dass auf den Drei Marien ein neuer Patron war und dass wir mit Ochsengespannen die Steine wegräumten und die Weiden umpflügten, um zu säen. Bald kamen Männer, die sich als Tagelöhner anboten, weil ich gut zahlte und reichlich zu essen gab. Ich kaufte Vieh. Das Vieh war mir heilig und wurde nicht geschlachtet, auch wenn wir das ganze Jahr über kein Fleisch zu sehen bekamen. So wuchs der Viehbestand.’ (Auszug, 2. Kapitel, Das Geisterhaus)
Zeilen von Gutsherr Esteban Trueba, der allerdings auch nach Gutsherrenart regiert. Ein Art wohlmeinender Diktator für den Leute die soziale Reformen fordern, grundsätzlich Aufwiegler sind. Esteban ist keine Kopie vom Großvater – den Isabel ebenso wie ihre Großmutter über alles liebte – hat aber Ähnlichkeit. In Mein erfundenes Land (2003) schreibt sie zum Beispiel dass ihr Großvater zwar nicht den Miltärputsch und die Abschaffung der Demokratie wollte, aber den Sozialismus hasste und das Ende von Salvador Allendes Regierung herbeisehnte. Vielleicht kein Wunder, wenn man bedenkt dass Landbesitzer wie er von der sozialistischen Regierung enteignet wurden. Aber der Ton des Romans wirkt neutral, die Autorin versucht primär, Personen und ihre Taten zu beschreiben, eher als zu beurteilen. Lesern die mehr von der Psychologie latainamerikanischer Diktatoren wie Pinochet verstehen wollen, empfiehlt sie die Romane Der Herbst des Patriarchen (1975) von García Márquez, und Das Fest des Ziegenbocks (2000) von Vargas Llosa. Merkwürdig ist jedoch folgendes: Als man Panamas Diktator General Noriega am Ende festnahm, fand man nur zwei Bücher bei ihm, die Bibel und Das Geisterhaus. Isabel Allende dazu: Man weiß nie für wenn man schreibt!

My Invented Country (2003): Another biographical book I found useful as background material. Nice cover too, with Isabel Allende around 1973. Whatever happend to that car?
Im völligen Kontrast zum Großvater Tata, lernte Isabel auch die unkonventionellen Freunde und Verwandten ihrer Großmutter Memé kennen. Einige von ihnen lebten zeitweise, wie in einer Künstler-Boheme, in dem großem Familienhaus. Isabel hatte zwölf Tanten und Onkel. Der Roman, der vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis 1981 spielt, enthält viel vom bunten Kommen und Gehen von Familienmitgliedern die von Reisen zurückkehrten und alle möglichen Geschichten, Theorien oder Artefakte mitbrachten. Manche der Geisterhaus-Geschichten erlebte Isabel Allende selber, manches lernte sie aus Erzählungen ihrer Großeltern kennen. Manches ist erfunden, wie es in Romanen üblich ist. Den Familienhund Barrabas, mit dessen Erwähnung der Roman beginnt, gab es wirklich, obwohl es genau genommen eine Bulldoggen-Hündin namens Pelvina war, die im Kinderbett der jungen Isabel platziert wurde um sie gegen Keime zu immunisieren. Vermutlich ist diese Urwüchsigkeit die in Isabel Allendes Leben und in ihren Büchern durchschimmert ein Mitgrund für ihren Erfolg. Sie hat etwas abenteuerliches und lebensfrohes das man gelegentlich bei Autoren aus dem einen oder anderen erfolgreichen Industrieland vermisst. Aber letztendlich hat jeder seine eigenen Erfahrungen und Geschichten. Soll man sie Geister nennen oder Erinnerungen? Vielleicht macht es keinen Unterschied. Solange all das – was wir liebten, was uns prägte – erzählt wird und dadurch erhalten bleibt.
Wussten Sie schon? Isabel Allende sagte, als Regisseur Bille August sie anfangs nach den Filmrechten fragte, lehnte sie ab. Sie hatte mehrere Angebote bekommen, aber den Eindruck dass Leute nicht unbedingt einen Film drehen wollten, sondern – per Option – erstmal verhindern wollten dass ihnen jemand anders zuvorkommt. Der Däne gab nicht auf, kam zu ihr nach San Francisco, mietete einen Kinosaal und zeigte ihr seinen Film Pelle, der Eroberer (1987), den sie mochte. Als sie danach einen Kaffee tranken, merkte sie dass er völlig in den Roman verliebt war, ihn in- und auswendig kannte und eine klare Vorstellung hatte, wie man die komplizierte Geschichte zu einen Film machen könnte – und sie sagte zu. Hier ein Foto von Isabel Allende (sitzend) mit Bille August (rechts) und vielen Geisterhaus-Schauspielern. Die aufwendige Produktion von Bernd Eichinger (1949-2011), hier ein Trailer, hat viele positive Rezensionen beim deutschen Amazon.
Verbindung des Romans zu Pablo Neruda Er wird nur der Dichter genannt: ‘In seinem Haus am Meer lag der Dichter im Sterben. Er war krank, und die Ereignisse der letzten Zeit hatten sein Verlangen weiterzuleben erschöpft.’ (13. Kapitel). In der Tat starb Neruda 12 Tage nach dem Putsch. Als vorher Soldaten sein Haus durchsuchten, sagte er: Schaut euch nur um, das einzige Gefährliche das ihr finden werdet, sind Gedichte. Die Autorin hatte ihn 1972 als Journalistin beim Interview getroffen. Neruda sagte ihr damals scherzhaft: Du bist wahrscheinlich die schlechteste Journalistin im Lande, denn du bist unfähig objektiv zu sein, setzt dich selber in den Mittelpunkt und erfindest Dinge wenn es keine Nachrichten gibt – du solltest lieber Romane schreiben! Als Epigraph hat Das Geisterhaus Zeilen des Nerudas-Gedichts Y cuánto vive? – Wie lange lebt der Mensch?
Verbindung des Romans zu Victor Jara Hier sind die Hinweise subtiler als bei Neruda, aber die Romanfigur von Pedro Tercero, einem Bauernsohn der zum sozialistischen Aktivisten wird – und in den sich Alba verliebt – enthält Anspielungen auf den chilenischen Folksinger. Im Roman (aber nicht im Film) spielt Pedro Gitarre, und später werden ihm bei einem Kampf mit Esteban drei Finger abgeschlagen. Eine Anspielung darauf dass Victor Jara, bevor ihn Soldaten erschossen, die Hände zerschlagen wurden. Hier ist Manifiesto, eins seiner letzten Lieder, mit Filmaufnahmen vom Putsch. Das Lied wurde später von Springsteen gecovert…in Tränen.
Verbindung zu Schiller und Beethoven im Roman Musik wird öfters erwähnt, u. a. Chopin, den Clara magischerweise auf dem Deckel des zugeklappten Pianos spielt. Ein Lied das namentlich erwähnt wird ist Ode an die Freude (Spanisch, Himno a la Alegría). Der Kontext ist denkwürdig: Eine Gruppe von Frauen singt das Lied in einem militärischen Internierungslager um Alba Mut zu machen nachdem sie gefoltert wurde. Von der Komposition, die aus Worten von Schiller und Musik von Beethoven besteht, gibt es viele Versionen. Da sie im Roman von Frauen gesungen wird, wähle ich diese Darbietung als Clip um das Lied zu hören.
Foto-Info Location des obersten Fotos war die Ruine eines andalusischen Bauernhofs, der viel größer ist als auf dem Foto rüberkommt. Hier gibt es viele Geisterhäuser, verfallene Gutshöfe in deren Mauern Geschichten aus vergangenen Zeiten stecken. Erste Wahl war eigentlich dieser Bauernhof, der mit Schafen und Bergen im Hintergrund perfekt war. Aber kurz nach dieser Probeaufnahme, kam ein Hund von der Größe eines Islandponys aus dem Haus und bewirkte dass wir schnell unsere Sachen packten. Que sera, sera.
Das Geisterhaus als Hörspiel Es gibt eine aufwendige Koproduktion von SWR und HR aus dem Jahr 2010, siehe Cover vom 8-CD-Set (563 min.) Mit Angela Winkler (Clara), Manfred Zapatka (Esteban Trueba) u. v. a. renommierten Sprechern. Musik von Pierre Oser. Auszeichnungen, u. a. Deutscher Hörbuchpreis 2011
Radio-Dokumentation DLF-Sendung ’40 Jahre nach dem Putsch – Isabel Allende zu Gast in Berlin’ (2013)
Avenita Kulturmagazin